Interview mit Schulleiterin Frau Brigitte Brinkmann
Brigitte Renate Brinkmann, geb. am 29. Mai 1950
vom 1. Februar 1998 bis zum 31. Juli 2012 Schulleiterin am Albert-Einstein-Gymnasium Kaarst
Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie ans AEG denken?
Eine "gute" Schule: Tradition, Qualität, ansprechendes Profil, klare Schwerpunkte, Prinzipien, Werte, verlässlich, authentisch, offen für Neues, flexibel, anpassungsfähig, zeitgemäß, fortschrittlich
und Vieles mehr . . .
Ich habe dort gerne gearbeitet und mich sehr wohl gefühlt - eine "gute" Schule, aber nicht mehr meine.
Warum haben Sie sich seinerzeit als Schulleiter(in) ans AEG beworben?
Warum ich mich am AEG als Schulleiterin beworben habe, ist ganz einfach: Die Stelle war ausgeschrieben und ich hatte große Lust, als Schulleiterin zu arbeiten. Irgendwann hatte ich an meiner Ausbildungsschule in Düsseldorf alle Klassen und Kurse in beiden Fächern (D, E) "durchunterrichtet", Abitur inklusive.
Die Aussichten auf neue Aufgaben waren gering: Schulintern waren die Pfründe verteilt, schulpolitisch Beförderungsstopp, keine Stellenausschreibungen wegen defizitärer Haushaltslage; "infiziert" durch regelmäßige Fortbildungen am Managerinnenkolleg in Köln war ich kurz davor, den öffentlichen Dienst zu quittieren. In dieser Situation retteten mich für ein weiteres Schulleben die erfolgreiche Bewerbung zur Erprobungsstufenkoordinatorin und das Angebot der Bez. Reg. Düsseldorf, als Moderatorin in der Lehrerfortbildung (Bereich Schulentwicklung) mitzuwirken.
Das gefiel mir: Erstens konnte ich in der Erprobungsstufe neue pädagogische und methodische Ansätze ausprobieren und u.a. eine sogenannte "Freiarbeitsklasse" etablieren. (Heute ist meine Ausbildungsschule in Düsseldorf Montessori-Gymnasium.) Zweitens arbeitete ich mit vielen Gymnasien und Kollegien, die der Bezirksregierung signalisiert hatten, dass sie an der Weiterentwicklung ihrer Schulen interessiert waren. Von zwei Kolleginnen aus dem Moderatorenteam hörte ich von einer sehr erfreulichen Zusammenarbeit mit einem gewissen Albert-Einstein-Gymnasium in Kaarst . . .
Was war für Sie das beeindruckendste Ereignis während Ihrer Zeit als Schulleiter(in)?
Das Ereignis, das mich während meiner Zeit als Schulleiterin am nachhaltigsten beeindruckt hat, war ein sehr trauriges: Ende August 2008 verlor ein Schüler der Jahrgangsstufe 7 zu Beginn des Schwimmunterrichts im Hallenbad in Büttgen das Bewusstsein und verstarb noch am selben Tag nachmittags im Krankenhaus. Trotz äußerst sachlicher und seriöser Pressearbeit durch den Schulträger verbreitete sich die Nachricht über den Unfall wie ein Lauffeuer. Sofort waren Gerüchte in der Welt, der Schüler sei ertrunken, mangelnde Aufsichtspflicht der Schule...Später stellte sich heraus, dass der Schüler wegen eines plötzlichen Herzversagens verstorben war.
Was mich im Zusammenhang mit diesem Ereignis nachhaltig beeindruckt hat:
- die professionelle und verantwortungsvolle Unterstützung der städtischen Notfallteams und des Notfallseelsorgers vor Ort: ihre einfühlsame Sorge um die Mitschülerinnen und Mitschüler des verunglückten Schülers und die betreuende Kollegin, bis alle wohlbehalten Zuhause oder bei befreundeten Familien untergebracht waren
- ein Anruf der Schulministerin persönlich mit der Zusage, dass dem Kollegium und den Schülerinnen und Schülern am nächsten Morgen eine Schulpsychologin zur Trauerbegleitung zur Verfügung stehen würde. Sie kam und betreute die Trauerarbeit in der Schule solange es nötig war – eine große Hilfe für uns alle!
- die Reaktionen und das Verhalten unserer Schülerinnen und Schüler über alle Jahrgangsstufen hinweg: ernsthaft, respektvoll, rücksichtsvoll, einfühlsam; Blumen und Kerzen am Schuleingang, ein großes Bild des verstorbenen Mitschülers im Foyer mit vielen Briefen, Grüßen und Zeichnungen, der geschmückte Tisch im Klassenzimmer, der frei gehalten und gestaltet wurde, bis die Klasse im neuen Schuljahr in einen anderen Raum umzog, die Ruhe im Schulgebäude…
- die Trauerfeier in der bis auf den letzten Platz besetzten Aula am Tag vor der Beerdigung mit Mitgliedern der gesamten Schulgemeinde, der Kirchen, des Schulträgers, des Kollegiums, der Schülerinnen und Schüler und der Familie des verstorbenen Schülers
- die Mutter des Schülers, die trotz ihres Schmerzes für alle Anwesenden Worte des Dankes fand
- der Oberstufenschüler, der solo zur Gitarre Eric Claptons "Tears in Heaven"sang, das Lied, das in den folgenden Tagen immer wieder im gesamten Schulgebäude zu hören war und sofort meine Aufmerksamkeit hat, wenn ich es z.B. heute im Radio höre . . .
- die wunderbare Aufnahme bei meinem Kondolenzbesuch in der Familie des verstorbenen Schülers, die von Wertschätzung und Achtung getragen war. Dieses warmherzige Entgegenkommen der Familie erwies sich später als nachhaltige Grundlage für ein harmonisches und freundschaftliches Interviewgespräch im Rahmen der Trauerarbeit mit der Mutter des Schülers. Das Gespräch wurde von 'WDR regional' im kleinen Innenhof der Schule aufgezeichnet, in dem die Schüler der Bio-AG ein Bäumchen für ihren Mitschüler gepflanzt hatten.
Was mich heute noch wütend macht, ist das unglaublich unverschämte Verhalten der Sensationspresse:
- die Belästigung durch ständige Anrufe war noch das Geringste Störung des Schulbetriebs und Missachtung des Hausrechts durch Fotoreporter, die sich in PKWs, die als Firmenwagen getarnt waren, unerlaubten Zugang zum großen Schulhof verschafften und dort Stative und Kameras mit Teleobjektiven auspackten
- respektlose Verletzung der Privatsphäre von Kindern durch Reporter, die sich durch den Eingang des kleinen Schulhofs schlichen und versuchten von außen in die Klassenräume der Erprobungsstufenklassen im Erdgeschoss zu fotografieren; Eltern mussten ihre Kinder von der Schule abholen, damit sie auf dem Nachhauseweg nicht durch aufdringliche "Berichterstatter" behelligt wurden, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ich sah mich gezwungen die Kaarster Polizei, die mir bereits im Vorfeld ihre Hilfe angeboten hatte, um die Überwachung und Absicherung des Schulgeländes zu bitten. Der ganze Spuk fand bezeichnenderweise ein sofortiges Ende, als nach der Obduktion feststand, dass der Schüler nicht ertrunken war und die Schule nicht ihre Aufsichtspflicht verletzt hatte.
An dieser Stelle darf die traurige Ergänzung nicht fehlen, dass nur vier Wochen später zu Beginn der Herbstferien ein Schüler der Jahrgangsstufe 5 des AEG beim Kartfahren tödlich verunglückte.
Worin lag für Sie in der Zeit als Schulleiter(in) die größte Herausforderung?
Von Anfang an war die größte Herausforderung - in jedem Schuljahr immer wieder mit neuen Überraschungen - die Deckung des Unterrichtsbedarfs mit einer ständig zu dünnen Personaldecke. Lehrplanänderungen, Oberstufenreformen und zentrale Prüfungen wurden ohne Rücksicht auf personelle Auswirkungen im Schulalltag beschlossen, die Umsetzung in Unterrichtsverteilung und Stundenplanerstellung aber den Schulen selbst überlassen.
Die Erfindung der "schulscharfen" Stellenausschreibungen - es durften die Fächer ausgeschrieben werden, die eine Schule am dringendsten brauchte - war sicherlich eine gute Sache. Aber vom Bedarf für diese schulscharfen Stellen musste die Bezirksregierung erst einmal überzeugt werden, und wenn es sich um die Stellenbesetzung für Mangelfächer handelte, entwickelten sich z.T. sehr unerfreuliche Konkurrenzsituationen zwischen Schulen.
Rückblickend bleibt festzuhalten, dass nach zentralen Prüfungen, Abitur und Zeugniskonferenzen der Höhepunkt am Ende eines Schuljahres immer die Unterrichtsverteilung war. Sie gehörte zu den spannendsten, aber notgedrungen auch kreativsten Herausforderungen, denn schließlich wollte jeder im Kollegium verständlicherweise vor den Sommerferien wissen, welche Klassen und Kurse sie oder er nach zu unterrichten hatte. Gleichzeitig wusste aber auch jeder, dass die Fassung von vor den Sommerferien nie die Fassung am Ende der Sommerferien war.
Was war Ihnen in Ihrer Dienstzeit besonders wichtig?
Besonders wichtig während meiner Dienstzeit waren mir persönlich:
- Freude an meiner Arbeit: mich wohl zu fühlen, zufrieden zu sein und gerne zur Schule kommen zu können. Es war für mich wichtig, in einer Umgebung von Höflichkeit, Freundlichkeit, Achtung und Respekt, Rücksicht, Ehrlichkeit und Vertrauen, Offenheit und Freimütigkeit arbeiten zu können, und dies habe ich am Albert-Einstein-Gymnasium von Anfang an erfahren und während meiner gesamten Dienstzeit sehr geschätzt.
- Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Menschen: mit allen Gruppen der Schulgemeinschaft, mit Schülern, Lehrern, Fachschaften und Arbeitskreisen; mit Eltern, Klassen- und Schulpflegschaften und natürlich dem Förderverein; der Nachbarschaft, Grundschule Stakerseite, Bebop und VHS, Anwohnern; den unterschiedlichen Schulen und Schulleitungen der Kaarster Schullandschaft, vor allem mit unserer Koop-Schule, dem Georg-Büchner-Gymnasium; der Stadt Kaarst und ihren verschiedenen Abteilungen, den Vereinen und sozialen Einrichtungen, Veranstaltern und Sponsoren…
- Kommunikation und Abwechslung: Jedes Schuljahr hat eine feste Reihenfolge von wiederkehrenden Aufgaben und Ereignissen, aber dies bedeutet keineswegs, dass dieser Beruf langweilig wäre; im Gegenteil: man hat vor allem mit Kindern zu tun und damit steht fest, dass kein Tag wie der andere ist, es gibt immer etwas, was es bis dahin noch nicht gab. Die Palette ist riesig und bunt.
Vermissen Sie irgendetwas im Zusammenhang mit Schule in Ihrem Ruhestand?
Anfangs: Ja! Alles! Die Kinder, die Kolleginnen und Kollegen, Kommunikation, Abwechslung, Trubel in den Pausen, chaotische Montage mit Staus auf den Autobahnen - einfach alles, was mir Spaß gemacht hat zu gestalten, zu improvisieren und zu organisieren. Inzwischen: sind aus dem "Vermissen" schöne Erinnerungen geworden.
Ja, das eine oder andere fehlt mir schon noch, vor allem die Schülerinnen und Schüler, der Austausch mit den (jungen) Kolleginnen und Kollegen…ABER - das kann ich trotz allem versichern: Es gibt ein Leben ohne Schule!
Wofür haben Sie jetzt Zeit, wofür es Ihnen während Ihrer aktiven Tätigkeit als Schulleiter(in) an Zeit mangelte?
Wahrscheinlich trifft die Antwort nicht ganz die Intention der Frage nach dem 'Zeit haben', aber das Wort "genießen" kommt im Fragebogen leider nicht vor. Ich genieße es, mit "Zeit" sehr viel selbstbestimmter umzugehen, als dies zu Schulzeiten möglich war. Ich entscheide bewusst, wofür ich viel oder wenig Zeit verwenden oder verschwenden will, und das manchmal "einfach so“.
Was wünschen Sie dem AEG für die Zukunft?
Natürlich wünsche ich dem AEG für die Zukunft "Alles Gute":
- viele Schülerinnen und Schüler, die gerne zur Schule gehen und Freude am Lernen haben.
- immer eine ausreichende Personaldecke mit Lehrerinnen und Lehrern, die Kinder und Jugendliche mögen und selbst Spaß daran haben, ihnen ihr Wissen und Können zu vermitteln.
- Eltern, die für ihre Kinder das Beste wollen und ihnen alle Chancen geben, aber sie nicht aus falschem Ehrgeiz überfordern und denen glückliche Kinder wichtiger sind als Bestnoten
- Eltern, die die Arbeit der Schule unterstützen und sich für die Schule engagieren.
- Schulleiterinnen und Schulleiter, die über ihre Qualifikation hinaus Freude an ihrem Beruf haben und die trotz aller Ansprüche, Vorgaben und Anforderungen das rechte Augenmaß für das Vernünftige und das Machbare im Sinne von Schülern, Lehrern und Eltern bewahren.
Brigitte Brinkmann